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Straßenverkehrsrecht
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In der Novemberausgabe 2003 der Zeitschrift RETTUNGSDIENST wurde folgende These in dem Artikel "Höchstgeschwindigkeiten von RTW" aufgestellt:
(...) Sind Fahrzeuge mit einem zGG über 3,5 t nach Bauart und Einrichtung nicht zum Gütertransport, sondern zur Beförderung von Personen bestimmt, sind für diese Fahrzeuge unabhängig von der Zulassungsart (Eintragung im Fahrzeugschein) die für PKW geltenden Vorschriften anzuwenden. Dies bedeutet für den Rettungsdienst, dass es keine Probleme mehr mit den Höchstgeschwindigkeiten für RTW über 3,5t zGG gibt, da die Ausstattung mit maximal fünf Sitzplätzen und eine Trage vorhanden ist. (...)
Da auch einige meiner Kollegen der Ansicht waren, dass dies zutreffe und auch noch einige andere Theorien (Stichwort Sonderrechte...) kursierten, habe ich mich daraufhin zunächst bei der örtlichen Kfz-Zulassungstelle erkundigt, von der ich an das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für das Land Schleswig-Holstein verwiesen wurde. Zusätzlich habe ich auch noch eine Anfrage an das Polizeibezirksrevier Flensburg gestellt und erhielt fast zeitgleich eine Antwort.
Das Polizeibezirksrevier Flensburg führt aus:
(...) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit orientiert sich ausschließlich am zulässigen Gesamtgewicht. Der beschriebene Rettungswagen hat ein zulässiges Gesamtgewicht von 4600kg, mithin beträgt die Höchstgeschwindigkeit für dieses Kfz 80 km/h. Sie haben mit Ihrer Einschätzung also Recht. (Verweis auf StVO §3 Absatz 3 Ziffer 2a) (...)
Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für das Land Schleswig-Holstein bestätigt diese Auslegung:
(...) Da solche Rettungswagen zulassungsrechtlich nicht als "Personenkraftwagen", sondern als "Sonder-Kfz" eingestuft sind, hat das von Ihnen zitierte Urteil des Bayerischen Oberlandesgerichts (1ObOWi 219/03 - Der Autor) für diese Kraftfahrzeuge keine spezielle Bedeutung.
Nach § 3 bzw. § 18 StVO gilt das Tempolimit von 80 km/h für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t, ausgenommen Personenkraftwagen. Rettungswagen werden bereits in der Zulassung eben nicht als Personenkraftwagen, sondern als Sonder-Kfz bezeichnet. Deshalb stellt sich im vorliegenden Fall überhaupt nicht die Frage, was unter „Personenkraftwagen“ im Sinne der vorgenannten Ausnahmevorschrift der StVO zu verstehen ist.
Vor diesem Hintergrund komme ich - in Übereinstimmung mit dem BMVBW (Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen) - zu dem Ergebnis, dass Rettungswagen nicht unter die für Pkw geltende Ausnahmevorschrift fallen, obwohl damit - abgesehen von den medizinischen Gerätschaften - letztlich ebenfalls nur Personen befördert werden. Die in der Fachzeitschrift „Rettungsdienst“ vorgenommene Auslegung des o. g. Urteils dürfte somit nicht zutreffend sein. (...)
Nach diesen klaren Aussagen dürfte klar sein, dass für Rettungswagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,49t bei Fahrten ohne die Inanspruchnahme von Sonderrechten ein Tempolimit von 80 km/h gilt - auch auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen.
Dieser Auffassung schloss sich auch die Redaktion der Zeitschrift Rettungsdienst an und revidierte Ihre Meinung in der Februarausgabe 2004.
In seinem Rundschreiben 2/23-073/04 wies das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuz am 23. November 2004 ebenfalls darauf hin, dass der Bund-Länder-Fachausschuß für das Straßenverkehrsrecht und die Verkehrspolizei (BLFA-StVO) in seiner Sitzung vom 22./23. September 2004 mit der beschriebenen Thematik beschäftigt hat und nun folgende einvernehmliche Auffassung vertritt:
"Bei Rettungsfahrzeugen mit einem zGG über 3,5 t handelt es sich nicht um von der Geschwindigkeitsbeschränkung des § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO bzw. § 3 Abs. 3 Nr. 2a StVO ausgenommene Personenkraftwagen.
Zur Begründung dieser Auffassung verweist der BLFA-StVO darauf, dass Rettungswagen nicht nach Bauart und Ausstattung zur Personenbeförderung im Sinne von § 4 Abs. 3 PBefG bestimmt, sondern für Kankentransporte oder Notfallrettung besonders eingerichtet und nach dem Fahrzeugschein als Krankenwagen anerkannte (§ 4 Abs. 6 PBefG) Fahrzeuge sind. Zulassungsrechtlich werden diese Fahrzeuge als "sonstige Kraftfahrzeuge" zugelassen.
Auch unter Berücksichtigung der sog. Sprinterentscheidung des Bayerischen OLG ergibt sich keine andere Rechtsauffassung. Zwar ist hierbei zu berücksichtigen, dass Krankentransportwagen nach der einschlägigen EU-Betriebserlaubnis-Rahmenrichtlinie als Fahrzeuge der Klasse M1 behandelt werden, so dass sich hieraus der Schluß ziehen ließe, dass in Serie gefertigte und typgenehmigte Fahrzeuge die technischen Vorschriften erfüllen, die auch für PKW gelten. In diesem Fall wäre eine Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit problematisch.
Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass Krankentransportfahrzeuge im Regelfall eine individuelle Ausstattung aufweisen, die nicht von den Vorschriften des Typgenehmigungsverfahrens umfaßt ist. Vielmehr erfolgt die straßenverkehrsrechtliche Zulassung im Regelfall durch Einzelbetriebserlaubnisse.
Da die individuelle Ausstattung der Fahrzeuge zur Folge haben kann, dass technische Änderungen insbesondere in den Bereichen Bremsen, Spiegel und Schwerpunkt des Fahrzeuges auftreten, ist eine höhere zulässige Höchstgeschwindigkeit allein auf der Grundlage der Einstufung als M1-Fahrzeuge nach der EU-Betriebserlaubnis- Rahmenrichtlinie nicht zu vertreten.
Somit bleibt es bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit dieser Fahrzeuge von 80 km/h auf Autobahnen und außerhalb geschlossener Ortschaften, sofern nicht Sonderrechte nach § 35 StVO in Anspruch genommen werden."
Was die Verwendung von Sonderrechten angeht, sieht die StVO auch eindeutige Richtlinien vor:
§ 35 Sonderrechte
(1) Von den Vorschriften dieser Verordnung (StVO) sind die Bundeswehr, der Bundesgrenzschutz, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.
(...)
(5a) Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.
Eine höhere Geschwindigkeit ist also nur unter Verwendung von Sonderrechten zulässig, was für uns - den Rettungsdienst - in der Praxis bedeutet: Einsatzfahrten, also mit Blaulicht und Martinshorn.
Fahrten mit Sonderrechten ohne Sondersignale sind zwar juristisch möglich, haben aber für den Rettungsdienst kaum eine Relevanz (die berühmte prä-eklamptische Patientin, die schnell in die Klinik muss, aber keinen starken akustischen oder optischen Reizen ausgesetzt werden darf.
Gesetzestext:
2. im übrigen bei jeder sonstigen übermäßigen Straßenbenutzung mit Ausnahme der nach § 29 Abs. 3 Satz 2. (4) Die Beschränkungen der Sonderrechte durch die Absätze 2 und 3 gelten nicht bei Einsätzen anläßlich von Unglücksfällen, Katastrophen und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sowie in den Fällen der Artikel 91 und 87a Abs. 4 des Grundgesetzes sowie im Verteidigungsfall und im Spannungsfall. (5) Die Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts sind im Falle dringender militärischer Erfordernisse von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, von den Vorschriften des § 29 allerdings nur, soweit für diese Truppen Sonderregelungen oder Vereinbarungen bestehen. (5a) Fahrzeuge des Rettungsdiensts sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. (6) Fahrzeuge, die dem Bau, der Unterhaltung oder Reinigung der Straßen und Anlagen im Straßenraum oder der Müllabfuhr dienen und durch weiß-rot-weiße Warneinrichtungen gekennzeichnet sind, dürfen auf allen Straßen und Straßenteilen und auf jeder Straßenseite in jeder Richtung zu allen Zeiten fahren und halten, soweit ihr Einsatz dies erfordert, zur Reinigung der Gehwege jedoch nur, wenn das zulässige Gesamtgewicht bis zu 2,8t beträgt. Dasselbe gilt auch für Fahrzeuge zur Reinigung der Gehwege, deren zulässiges Gesamtgewicht 3,5t nicht übersteigt und deren Reifeninnendruck nicht mehr als 3 bar beträgt. Dabei ist sicherzustellen, dass keine Beschädigung der Gehwege und der darunterliegenden Versorgungsleitungen erfolgen kann. Personen, die hierbei eingesetzt sind oder Straßen oder in deren Raum befindliche Anlagen zu beaufsichtigen haben, müssen bei ihrer Arbeit außerhalb von Gehwegen und Absperrungen auffällige Warnkleidung tragen. (7) Messfahrzeuge der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (§ 66 des Telekommunikationsgesetzes) dürfen auf allen Straßen und Straßenteilen zu allen Zeiten fahren und halten, soweit ihr hoheitlicher Einsatz dies erfordert. (8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.
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Der § 35 der Straßenverkehrsordnung besagt also, dass u.a. Fahrzeuge des Rettungsdienstes unter bestimmten Voraussetzungen von den Vorschriften der StVO befreit werden können. Für den Rettungsdienst ist diese Voraussetzung aber nur dann gegeben, "wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden", es regelt also den "Rechtfertigender Notstand" (§ 34 StGB) für die Straßenverkehrsordnung. Im Notfall darf der Fahrer eines Rettungswagens also schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit und entgegen der Fahrtrichtung fahren sowie rote Ampeln überfahren und im Halteverbot halten.
Für die Inanspruchnahme der Sonderrechte wird kein Blaulicht und/oder Martinshorn benötigt, die Verwendung der Sondersignale wird im § 38 der StVO geregelt. Tatsächlich aber ist die Nutzung der Sonderrechte in der Praxis des Rettungsdienstes (fast) untrennbar mit der Verwendung der Sondersignale verbunden. Als Beispiel für eine Verwendung der Sonderrechte ohne Sondersignale wäre die prä-eklamptische Patientin, die zwar schnell ins Krankenhaus transportiert werden muss, dabei jedoch keinerlei starken evtl. krampfauslösenden Reizen optischer oder akkustischer Natur ausgesetzt werden darf.
Das Parken und Halten an der Einsatzstelle würde in der Notfallrettung auch noch darunter fallen, während im Krankentransport ein Halten in zweiter Reihe oder im Parkverbot wohl nur mit dem § 16 OWiG zu rechtfertigend ist, indem man die Ehre und Würde des Patienten (der sonst einen längeren Transportweg auf der Trage durch die Nachbarschaft auf sich nehmen müsste) über die mögliche Verkehrsbehinderung stellt.
So großzügig der § 35 StVO dem Fahrzeugführer auch die Übertretung der übrigen Vorschriften der StVO erlaubt, die Durchführungsbestimmungen sind streng gehalten. Ganz eindeutig weist der § 35 der StVO darauf hin, dass diese Befreiung von den Vorschriften der StVO nur unter größter Sorgfalt und Aufmerksamkeit gewährt wird. Das heißt für den Fahrzeugführer, dass er sich versichern muss, dass seine geduldete "Übertretung" der Vorschriften keine anderen Verkehrsteilnehmer oder die öffentliche Sicherheit gefährdet.
Die Entscheidung und die Durchführungsverantwortung für die Verwendung der Sonderrechte liegen einzig und allein beim Fahrzeugführer, zwar kann die Leitstelle, der patientenbegleitende RA oder Notarzt die Verwendung der Sonderrechte genehmigen bzw. anraten, über die "Dosierung" entscheidet allein der Fahrer.
Auch beziehen sich die Sonderrechte nur auf Vorschriften und Regelungen der StVO, andere gesetzliche Vorschriften bleiben davon unberührt, so z.B. das Fahren unter Alkohol-, Drogen- und Medikamenteneinfluß (StVG) oder das Führen eines Fahrzeuges ohne Fahrerlaubnis (StVG). Ausdrücklich ausgenommen bleibt der § 36 StVO, Zeichen und Weisungen von Polizeibeamten sind immer Folge zu leisten.
Gesetzestext: |
Der Paragraph 38 der StVO regelt nun die Verwendung von Blaulicht und Martinshorn und das Verhalten gegenüber solchen Fahrzeugen. Durch das zusammen mit dem Blaulicht verwendet Martinshorn wird den übrigen Verkehrsteilnehmern die Sonderstellung des Einsatzfahrzeuges signalisiert, die Verwendung der Sonderrechte optisch und akustisch mitgeteilt.
Außerdem wird allen Verkehrsteilnehmern auferlegt, dem Einsatzfahrzeug sofort und unverzüglich frei Bahn zu schaffen, was in der Praxis u.a. heißt, die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs zu drosseln, gegebenenfalls auch anzuhalten, trotz grüner Ampel nicht in die Kreuzung einzufahren oder sie gar zu überqueren, Einsatzfahrzeuge ungehindert überholen zu lassen, kurz gesagt: Er muss auf alle seine Vorrechte verzichten.
Diese Anweisung gilt jedoch nur bei gleichzeitiger Verwendung von Blaulicht und Martinshorn, ein Fahren ausschließlich mit Blaulicht ist zwar gestattet, hat aber keine anweisende Wirkung an andere Verkehrsteilnehmer. Durch die Kombination mit dem Sonderrechtsparagraphen ist der Inanspruchnehmer der Wegerechte strengstens angehalten, dem Verkehr vollste Rücksicht zu zollen. Er darf sich über die Vorrechte der anderen Verkehrsteilnehmer also erst dann hinwegsetzen, wenn er sich davon überzeugt hat, dass diese auf sie verzichten. Das heißt also für die Praxis z.B. Einfahren in die Kreuzung bei "Rot" nur im Schrittempo.
Auszug aus dem Bussgeldkatalog (Stand 1. April 2004):
Je nach Rettungsdienstorganisation und Landkreis gibt es ja verschiedene Möglichkeiten, wie NEF und RTW bei Einsatzfahrten mit Patienten Richtung Krankenhaus fahren. Bisher habe ich zu dieser Thematik noch keine einheitliche Aussage finden können, je nach befragtem Juristen gab es unterschiedliche Meinungen dazu.
Deswegen gebe ich an dieser Stelle meine persönliche Meinung dazu ab, zusammen mit ein paar rechtlichen Betrachtungen des Ganzen.
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